Am 2. Juli tritt mit Sven Gerich ein langjähriger Feuerwehrmann das Amt des Oberbürgermeisters der Landeshauptstadt Wiesbaden an. Im exklusiven Feuerwehr-Interview haben wir dem angehenden Oberbürgermeister zu seinen Plänen und Ansichten zur Feuerwehr Wiesbaden auf den Zahn gefühlt – und auch seine Wahlversprechen auf die Probe gestellt. Dabei haben wir einen echten „Feuerwehr-OB“ erlebt.
Er war der Wunschkandidat der Wiesbadener Feuerwehrleute. Nach dem frustrierenden Streit um unbezahlte Überstunden (Wir berichteten) und anderen Problemen hat sich Sven Gerich im Wahlkampf klar positioniert. „Ich habe da nicht gewackelt und nicht geeiert, sondern klare Zusagen gemacht“, erklärt er. Vor der Wahl kam beim politischen Gegner der Verdacht auf, er wolle direkten Wahlkampf mit dem Feuerwehrdienst machen. Das mit dem Personalrat vereinbarte hautnahe Erleben einer Schicht bei der Berufsfeuerwehr wurde ihm verwehrt. Doch Gerich versprach, diese Erfahrung als OB nachholen zu wollen.
Apropos Wahlversprechen – hier ist Gerich Realist: „Ich verspreche nichts, was ich nicht halten kann. Aber ich habe zugesagt, eine auskömmliche Lösung für die Überstundenproblematik zu suchen.“ Wie er sich das vorstellt? Er will Kontakt mit anderen Kommunen aufnehmen, die ähnliche Probleme hatten und einen Weg zugunsten der Feuerwehrleute finden konnten. Vorbehaltlich der Auswirkungen des Gerichtsurteils ist Gerich „optimistisch, einen gemeinsamen Weg zu finden und mit der entsprechenden Finanzierung eine parlamentarische Mehrheit zu bekommen.“
Ein weiteres Versprechen war, das Amt 37 – also die Feuerwehr – wieder in das Dezernat I zu holen und damit zur Chefsache zu machen, wie es lange Zeit der Fall war. Auch darauf angesprochen wackelt Gerich nicht: „Das Amt 37 wechselt in das Dezernat I und ich freue mich auch sehr darauf“, macht er klar. Zum bereits angesprochen „Praktikum“ bei der Berufsfeuerwehr sagt er klar: „Die Terminabstimmung läuft bereits!“
Damit ist eigentlich schon alles gesagt, denn mehr Details zu einem verhältnismäßig kleinen Bereich kann man von einem designierten Oberbürgermeister so kurz nach der Wahl nicht erwarten. Doch weit gefehlt! Sven Gerich weiß schließlich, wovon er spricht.
14 Jahre lang war der 38-Jährige aktiver Feuerwehrmann in der Freiwilligen Feuerwehr Biebrich. Aufgehört hat er nur, weil seine Termine als Politiker mit denen der Feuerwehr kollidierten. Die Zeit als Feuerwehrmann ist jedoch alles andere als vergessen. „Feuerwehr war und ist eine tolle Erfahrung“, erzählt er. Er spricht von dem Zusammenhalt, den er erlebt hat und dass er schon immer gern mit Menschen zu tun hatte. Was er daraus für sein Amt mitnimmt? „Der ganz besondere Einsatz, die ganz besondere Aufgabe. Die sollen auch in der Politik eine besondere Stellung haben.“
Nun sind rein rechnerisch zwei Drittel der Wiesbadener Feuerwehrleute ehrenamtlich tätig, die Zahl der Aktiven bundesweit rückläufig. Auf die Frage, was die Freiwillige Feuerwehr dagegen tun kann, spricht Gerich uns, als Wiesbaden112, aus der Seele: „Die Freiwillige Feuerwehr muss sich in der Außendarstellung ändern, um attraktiv zu bleiben!“. Auch wünscht er sich, dass die Zusammenarbeit mit Kindertagesstätten und Schulen intensiviert wird, um das Wissen über das Feuerwehrwesen zu fördern. Hier sieht er zuerst die Feuerwehren – an deren Spitze den Kreisfeuerwehrverband – in der Verantwortung, die Situation einzuschätzen. Alleine lässt er jedoch niemanden: „Die Stadt unterstützt gerne, wenn man weiß, wo es fehlt“, lässt er uns wissen.
Das größte Problem zeigt sich für ihn jedoch derzeit bei der Berufsfeuerwehr: „Ich glaube, wir haben im Moment ein Motivationsproblem, weil die Mitarbeiter sich schlecht behandelt fühlen.“ Damit meint er die unbezahlten Überstunden und auch das Schichtsystem, das zu überdenken sei. Eine Ursache für diese Probleme sieht er in der Personalentwicklung. „Die Feuerwehr war in der Vergangenheit mit den Azubi-Lehrgängen durchweg zu spät dran“, stellt Gerich fest.
An dieser Stelle wiederholt er, wo der Schuh drückt: „Wir müssen dieses Überstundenproblem lösen!“. Man merkt ihm das Verständnis für die Sorgen der Feuerwehrleute an und ist sich der Wünsche und Hoffnungen bewusst, die an ihn gestellt werden. Aber auch Gerich hat einen Wunsch: „Bisher kamen immer sehr innovative Ideen aus der Feuerwehr Wiesbaden. Jetzt schwimmen wir jedoch eher mit anderen Berufsfeuerwehren mit. Das sollte sich wieder ändern.“
Die schwierigste Frage ist jedoch – wie so oft in der Politik – die Frage der Finanzierung. Dessen ist sich auch Sven Gerich bewusst: „Wir müssen eine auskömmliche Finanzierung auf die Beine stellen, die Finanzen im Blick behalten. Dabei dürfen wir aber nicht auf dem Rücken der Mitarbeiter sparen.“ Genauer kann er noch nicht werden. „Erst wenn wir Einblick in das Budget haben, können und werden wir schauen, wie wir es zielgerichtet und fair verteilen.“
Bei der Umsetzung von Veränderungen und Innovationen setzt er deshalb viel auf Vertrauen und den Dialog mit der Amtsleitung und dem Personalrat. Dabei verwendet er das Bild, dass man „gemeinsam an einem Strang ziehen muss“ mit der Ergänzung: „Auch an einem Strang kann man in verschiedene Richtungen ziehen, das soll unbedingt vermieden werden“.
Dabei will er keineswegs der einzelne Strippenzieher, sondern vielmehr Teamplayer sein: „Nicht jeder Vorgang muss über den Tisch des Oberbürgermeisters gehen. Ich werde mit einem großen Vertrauensvorschuss voran gehen, auch wenn mir das das eine oder andere Mal Probleme bringen wird.“. Alleine lassen wird er dabei jedoch niemand, wie er versichert: „Ich habe immer ein offenes Ohr für Anregungen und Kritik.“ Und: „Die besten Ergebnisse erhält man, wenn man miteinander spricht.“
Dabei ist für ihn auch eine Zusammenarbeit mit anderen Feuerwehren sowohl finanziell als auch organisatorisch denkbar. „Ich sehe den Rhein nicht als Grenze, sondern die Brücken als enge Verbindung beider Städte.“, beschreibt er seine Sicht auf die Landesgrenze. Neben dem Vorbild des Feuerlöschbootes kann er sich auch die Finanzierung von Spezialfahrzeugen wie beispielsweise einem Feuerwehrkran vorstellen. „Warum soll man nicht für Dinge, die nicht im täglichen Gebrauch sind, eine Kooperation anstreben?“, fragt er offen. Hier sind natürlich die Gespräche und Entwicklungen zwischen Feuerwehren und Oberbürgermeistern abzuwarten.
Damit waren wir weit über dem, was wir dem angehenden Oberbürgermeister zumuten wollten, durften, dabei aber einen sehr aufgeschlossenen, sympathischen und interessierten Sven Gerich kennen lernen. Welche Worte möchte Sven Gerich zum Abschluss an die Feuerwehrleute richten? Nüchtern und bestimmt sagt er: „Ich schätze Ihre Arbeit aus eigener Erfahrung und wünsche Ihnen allen ein unfallfreies Wirken.“
Wir danken Sven Gerich für das Interview und die offenen Worte. Wir wünschen ihm, seinem Team und allen Beteiligten viel Erfolg und ein glückliches Händchen bei ihrem Tun – natürlich besonders, was die Feuerwehr Wiesbaden betrifft.
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