(me) Wie oft ist ein nicht bemerkbares Atemgift Ursache dafür, dass sich bei einem vermeintlich harmlosen Rettungseinsatz die Einsatzkräfte in Lebensgefahr befinden können? Um hierzu belastbare Zahlen und Antworten zu finden, führen Feuerwehr und Rettungsdienst in Wiesbaden erstmalig in Deutschland eine Studie zur Bewertung einer Gefahr durch Kohlenmonoxid im Einsatz durch.
Eine Gastherme unter dem Waschbecken, ein Kamin im Wohnzimmer und der erloschene Grill auf dem Balkon. Sie alle haben eins gemeinsam: Sie produzieren das Atemgift Kohlenstoffmonoxid – kurz „Kohlenmonoxid“ oder „CO“. Kohlenmonoxid ist jedoch heimtückisch: Man kann es nicht sehen, riechen oder schmecken. Selbst bei einer CO-Vergiftung warnt der Körper den Menschen beispielsweise nicht durch Husten oder Atemnot. So starben im Jahr 2009 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 373 Menschen allein durch eine Kohlenmonoxidvergiftung.
Kohlenmonoxid verhindert den Transport von Sauerstoff im Blut und führt dadurch zum Ersticken. Eine leichte CO-Vergiftung macht sich meist durch Kopfschmerzen, Schwindelgefühl und grippeähnliche Symptome bemerkbar, lässt sich jedoch erst im Krankenhaus als solche diagnostizieren. Üblicherweise wird das Kohlenmonoxid durch Ab- und Zuluft aus der Wohnung transportiert. Sind diese Abzüge jedoch defekt, verstopft oder schlichtweg die neuen Fenster zu dicht, sammelt sich das CO unbemerkt in der Wohnung.
So kommt es vor, dass Rettungskräfte zu einem Patienten mit derartigen Symptomen gerufen werden und nicht erkennen können, dass die Kohlenmonoxidkonzentration in der Wohnung für sie selbst bereits lebensgefährlich ist. Erst Stunden später kann sich die CO-Vergiftung auch bei den Einsatzkräften bemerkbar machen.
Wie oft sich Rettungskräfte unwissentlich in diese Gefahr begeben, ist derzeit noch völlig unbekannt. Die Berufsfeuerwehr Wiesbaden vermutet hier eine hohe Dunkelziffer und hat eine bisher in Deutschland einmalige Studie initiiert. Mit Unterstützung der Firma MSA AUER wird ab 1. August in vielen Rettungswagen, Notarzt- und Feuerwehrfahrzeugen in Wiesbaden ein CO-Warngerät mitgeführt.
Dieses Warngerät schlägt sofort Alarm, sobald ein Wert von 30 ppm (parts per million) überschritten wird. 30 ppm ist der in Deutschland gültige Maximalwert für die CO-Konzentration am Arbeitsplatz. Der Normalwert in einer Wohnung liegt zwischen 0,5 und 5 ppm. „Ein Holzfeuer im Kaminofen kann jedoch schnell bis zu 5000 ppm Kohlenmonoxid freisetzen“, erklärt Oberbrandmeister Marco Pfeuffer, der mit der Begleitung dieser Studie beauftragt wurde. Dieser Wert führt zu unmittelbaren Kopfschmerzen und kann nach nur 15 Minuten zum Tod führen.
Schlägt das Warngerät an, können die Retter die ppm-Konzentration ablesen, die Leitstelle informieren und gegebenenfalls mit einer sofortigen Evakuierung des Gebäudes beginnen. In einer vorerst sechsmonatigen Testphase werden diese Fälle in Protokollen vermerkt und evaluiert. Hier soll festgestellt werden, wie oft welche CO-Konzentrationen gemessen wurden, oder wo sie vorher meist gar nicht bemerkt worden wären. Zudem werden dann weitere Einsatzkräfte mit Atemschutz nachalarmiert und die eingesetzte Mannschaft eventuell im Krankenhaus weiter untersucht.
Die Studie dient nicht nur den eigenen Kräften, sondern auch den Patienten. Die Einsatzkräfte sollen hierfür sensibilisiert werden. Kondenswasser an Fenstern oder einfach ein „muffiger Geruch“ müssen nicht Ursache des Lebensstils der Patienten sein, sondern können Anzeichen einer gefährlichen CO-Konzentration im Raum sein.
Auch im Alltagsgeschäft will man die Belastung für Retter messen. In einer genormten Garage erzeugt ein durchschnittliches Fahrzeug im Leerlauf 27,8 ppm Kohlenmonoxid pro Minute. Bei Aufräumarbeiten in einer ausgebrannten Wohnung oder an den Verbrennungsmotoren der Einsatzfahrzeuge und -aggregate vermutet man wesentlich höhere CO-Werte.
Inwiefern die Gefahr bisher unterschätzt wurde, soll sich spätestens im Mai 2012 zeigen. Bis dahin soll ein Vorabbericht zur Studie veröffentlicht werden, um die Einsatzstrategie unter Umständen anzupassen. In Österreich wird beispielsweise bei jedem Einsatz grundsätzlich eine CO-Messung durchgeführt. Auch dort kam es schon zu teils schweren Verletzungen bei Einsatzkräften, die sich unbemerkt hohen Kohlenmonoxidwerten ausgesetzt hatten.
In Wiesbaden ist derzeit zum Glück noch kein Fall bekannt, in dem eine Einsatzkraft schwere oder gar tödliche Verletzungen durch eine CO-Vergiftung erlitten hat. Damit dies auch in Zukunft so bleibt, wird nun gemessen, gewarnt und beobachtet – damit sich Retter retten können und sich nicht selbst gefährden!
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Hinweis: Die hier gezeigten Fotos wurden zur Veranschaulichung gestellt und
sollen keine so geschehene Situation zeigen!
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Downloads:
- MMH-Studie: „Gefährdung durch Kohlenstoffmonoxid an der Einsatzstelle“ (PDF)
Studienbericht mit einer Gefährdungsanalyse durch Kohlenstoffmonoxid an der Einsatzstelle inkl. Empfehlung zur Ausstattung von Einsatzkräften und Abwicklung von Einsätzen mit erhöhtem Kohlenstoffmonoxidgehalt in der Atmosphäre. - Fachempfehlung des DFV: „Rahmenempfehlung zu Einsätzen bei Verdacht auf einen CO-Notfall innerhalb von Räumlichkeiten“ (PDF)
- Info-Broschüre für Haushalte: „Gefahr durch CO – Kohlenstoffmonoxid“ (PDF)