Durch einen Giftgasaustritt in einem Betrieb in Oestrich-Winkel waren am Montag und in der Nacht rund 500 Einsatzkräfte mobilisiert worden, die Bevölkerung wurde mehrfach gewarnt – sogar eine Evakuierung war bereits am Anlaufen. Die Gefahr besteht wohl noch bis Donnerstag.
Gegen 13 Uhr kam es in dem kunststoffverarbeiteten Betrieb zu dem Unfall. Durch eine chemische Reaktion mit Wasser entstand in einem Tank „Toluylendiisocyanat“. Ein stark ätzender Stoff, der zusätzlich zu einem gefährlichen Druckanstieg im Behälter führte. Der Stoff trat in einer großen Wolke über dem Betrieb aus.
Die chemische Reaktion war bis zum Abend nicht zu stoppen. Fachkräfte vom Innenministerium und TUIS waren zur Einsatzstelle gekommen. Die Feuerwehr versuchte den Behälter mit Wasser zu kühlen und austretende Gase niederzuschlagen. Die Bevölkerung wurde aufgefordert sich nicht im Freien aufzuhalten.
Messfahrzeuge aus allen benachbarten Landkreisen waren unterwegs um die Gefahrstoffkonzentration, auch im Rheinland-Pfälzischen Ingelheim, zu messen. Einsatzkräfte mussten mit Chemikalienschutzanzügen vorgehen und dekontaminiert werden. Da sofort mehrere Personen über Atemwegs- und Augenreizungen klagten, kamen mehrere überregionale Rettungsdienst Einheiten (ÜMANV-S) zum Einsatz. Alle dienstfreien Kräfte der Rettungsdienste waren alarmiert worden.
Am späten Abend verschärfte sich die Situation so sehr, dass eine Evakuierung von rund 1000 Menschen in einem Radius von 700 Metern um die Unglücksstelle herum vorbereitet wurde. Hierzu wurden alle verfügbaren Transporteinheiten der Schnelleinsatzgruppen alarmiert. Auch aus Wiesbaden kamen der Bus der Berufsfeuerwehr und alle Mannschaftstransportfahrzeuge der Freiwilligen Feuerwehren zum Einsatz.
Doch noch bevor die Evakuierung durchgeführt wurde, gaben die Experten vor Ort Entwarnung. Kurz nach Mitternacht rückte ein Großteil der 500 Einsatzkräfte ein. Ein beachtlicher Teil blieb jedoch vor Ort – so auch das Löschboot der Feuerwehren Mainz/Wiesbaden.
Gegen 2 Uhr dann der Schock: Zwei Verpuffungen auf dem Betriebsgelände lassen erneut Sirenen heulen. Wieder tritt der Gefahrstoff unkontrolliert aus und ein Großaufgebot an Einsatzkräften beginnt quasi von vorne. Auch hier wird die Bevölkerung wieder gewarnt. Parallel dazu wird in Idstein noch ein Ammoniakaustritt gemeldet – hier helfen auch LNA und OLRD aus Wiesbaden den Kollegen im Rheingau-Taunus-Kreis bei dieser extremen Lage aus.
Doch außer eine Geruchsbelästigung lässt sich in Oestrich nichts feststellen, sodass nach wenigen Stunden wieder Entwarnung gegeben wird. Nach Auskünften der Behörden besteht derzeit keine erhöhte Gefahr, auch wenn die chemische Reaktion wohl noch bis Donnerstag andauert. Die Bevölkerung ist trotz Entwarnung weiterhin zu Vorsicht aufgerufen – besonders was den Verzehr von Obst und Gemüse betrifft.
Offiziell zählten die Rettungskräfte 26 Verletzte, darunter viele Feuerwehrleute und Polizisten. Ein Großteil von ihnen konnte das Krankenhaus jedoch schon wieder verlassen. Wie es zu dem Unfall kommen konnte und wie weitreichend die Folgen sind ist derzeit noch nicht abzuschätzen. Viele Bürger bemängelten die schlechte Informationslage von Behörden und dem Betrieb. Die mehrfachen Warnungen, Entwarnungen und unklaren Informationen verunsicherten die Bürger. Hier zeigte sich wie wichtige eine gut aufgestellte Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ist.
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