(me) Am Samstag, dem 25. April 2009 trafen sich rund 350 Fachleute im beschaulichen Eppstein. Dort fand den ganzen Tag ein, europaweit in dieser Art und Weise einzigartiger, Kongress statt. Bei „Atemschutzunfälle.eu LIVE“ werden internationale Arbeitsweisen vorgestellt, Tipps zum Atemschutzeinsatz gegeben und Atemschutzunfälle aufgearbeitet.
Der Stellenwert dieser Veranstaltung, die dieses Jahr das zweite Mal statt fand, zeigt sich schon an den Gästen: Aus zehn Nationen – von Deutschland über Österreich, Ungarn bis nach England – sind Fachleute angereist. Sie stammen nicht nur aus Freiwilligen, Berufs- und Werkfeuerwehren, sondern kommen auch aus den Landesfeuerwehrschulen, Gewerkschaften und Unfallkassen. So entsandt beispielsweise auch die Berufsfeuerwehr Wiesbaden zehn Vertreter aus den verschiedenen Abteilungen.
Als Gastgeber bot sich die Freiwillige Feuerwehr Eppstein-Vockenhausen an, die in diesem Jahr ihr 75-jähriges Bestehen feiert. Den ganzen Tag schmierten sie Brötchen, verteilten Getränke, organisierten die Technik und das Mittagessen. Neben den Vorträgen in der Sporthalle, konnte in Zusammenarbeit mit 14 Ausstellern auch eine kleine Fachausstellung angeboten werden.
Veranstaltet wurde der Kongress von Atemschutzunfälle.eu, einem Team, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, über Atemschutzunfälle zu berichten und die Feuerwehren zu sensibilisieren. So führte das Team durch die Veranstaltung und übersetzte die Vorträge der ausländischen Referenten.
Nach der Begrüßung, bei der auch der erste Stadtrat von Eppstein, Herr Reus, sich sehr erfreut zeigte, eine derart professionelle, internationale Veranstaltung in der Burgstadt begrüßen zu dürfen, sollte Jay Lowry aus den USA zu den Gästen sprechen. Da dieser leider schwer erkrankt in den Staaten bleiben musste, trug Adrian Ridder (Atemschutzunfälle.eu) den Bericht stellvertretend vor.
Dabei ging es um einen Einsatz, bei dem insgesamt neun Feuerwehrleute ihr Leben verloren haben. Dank einer lückenlosen Untersuchung durch vier unabhängige Kommissionen, konnten hier die Fehler gezeigt werden. Hier zeigt sich, dass oft erst das Zusammenspiel mehrerer Fehler zu einem Unglück führen. Bei dem angesprochenen Einsatz lief jedoch nahezu alles schief: Nach einer unvollständigen Erkundung, waren die Kräfte mit falscher Taktik, Technik und Ausbildung ohne richtige Führung mit schweren Kommunikationsproblemen in einem großen Industriegebäude unterwegs.
Von einem erfolgreich abgewickelten Atemschutznotfall berichteten Uwe Fricke und Thomas Keck von der FF Bad-Harzburg. Bei einem Gebäudebrand mit Menschenrettung trennte sich der Trupp im Dachgeschoss und ein Feuerwehrmann mit Kind im Arm war ohne Funkkontakt und abgeschnittenem Rückzugsweg dort eingeschlossen. Letztlich konnte er jedoch ein Fenster erreichen und sich sowie das Kind über die Drehleiter retten (wobei der Drehleiterkorb nicht ganz an das Fenster herangefahren werden konnte). Dieser Einsatz wurde durch die Führung der FF aufgearbeitet und der Atemschutzeinsatz weiter optimiert. Durch den Vortrag wurde klar, dass nur durch eine ehrliche und kritische Konfrontation mit den Geschehnissen eine Verbesserung erzielt werden kann. Der vollständige Einsatzbericht ist hier abzurufen.
John McGhee stellte die Arbeit der britischen Feuerwehrgewerkschaft „Fire Brigade Union“ (FBU) vor. Aufgrund einer auffälligen Häufung von Atemschutzunfällen hat es sich die FBU zur Aufgabe gemacht, derartige Unfälle zu untersuchen und sie in einem Bericht aufzuarbeiten. So versucht auch die FBU ihre Gewerkschaftsmitglieder vor zukünftigen Unfällen im Feuerwehreinsatz zu schützen. Denn wie in Deutschland gibt es bisher keine zentrale Stelle, welche Statistiken erstellt, Unfälle auswertet und Empfehlungen heraus gibt, die diese Fehler in Zukunft vermeiden lassen.
Den wohl emotionalsten Vortrag hielt ein Referent aus Budapest. Oberst Dr. habil. Oszkár Cziva, Abteilungsleiter Abwehrender Brandschutz, Technische Hilfeleistung und Katastrophenschutz bei der Berufsfeuerwehr Budapest. Mit sichtlicher Betroffenheit berichtete er von einem Einsatz in der dortigen Universität. Dort kamen bei einem Kellerbrand drei Feuerwehrleute ums Leben – sieben weitere wurden zum Teil schwer verletzt. Die Feuerwehrleute wurden nicht nur von der tatsächlichen Lage überrascht, sie irrten auch beim Rückzug teilweise orientierungslos umher. In einem bewegenden Video mit Bildern vom Einsatz und der Trauerfeier brachte er gespenstische Ruhe in den großen Saal. Anschließend hob er hervor, wie wichtig der Atemschutzeinsatz in allen Bereichen nachhaltig und stressresistent ausgebildet werden muss.
Colonel Patrick Blais, Leiter der nationalen Unfallverhütungs- und Untersuchungsgruppe im französischen Innenministerium zeigte auf, wie eine Aufarbeitung von Feuerwehrunfällen auf nationaler Ebene funktionieren kann. Das Innenministerium erfasst alle Unfälle im Feuerwehrdienst und zieht daraus auch Konsequenzen. So zeigt eine nationale Analyse, dass es bei französischen Feuerwehren mindestens genauso oft zu tödlichen Unfällen im oder durch den Verkehr kommt, wie im eigentlichen Einsatzgeschehen. Bei der Aufarbeitung von Unfällen wird jedoch kein Wert darauf gelegt, Fehler einzelner Personen aufzudecken, sondern strategische Defizite fest zu stellen und generelle Veränderungen zu initiieren.
Zum Abschluss räumte Jan Südmersen (Team Atemschutzunfälle.eu und BF Osnabrück) mit Atemschutzlegenden auf. Er zeigte Einsatz- und Nationenübergreifend, dass fast alle Atemschutzunfälle im Grunde aus den gleichen Gründen katastrophal enden. Egal ob Göttingen, Ibbenbüren, Tübingen, Worcester oder Charleston – oft ist die Notfallmeldung (Mayday) nicht, zu spät oder falsch abgegeben beziehungsweise im Funkchaos schlichtweg nicht gehört worden.
Aber auch fehlende Orientierung oder einfach die Überforderung des „Systems Atemschutzeinsatz“ führen zu Unfällen – oder, wie Südmersen sagte: „Unfälle passieren bei scheiß Feuern in scheiß Gebäuden!“. Und wer da denkt „Aber wir haben ja den Sicherungstrupp!“, liegt völlig falsch. Meist werden viel mehr Trupps zur Rettung auch nur einer einzigen verunfallten Einsatzkraft benötigt (Köln: 4 Trupps, Göttingen: 6 Trupps, Ibbenbüren: 4 Trupps, Tübingen: 6 Trupps, …). So ist der Vorschlag von ihm, bei umfangreichen Atemschutzeinsätzen ganze Rettungsteams (Beispielsweise eine Gruppe) zur Sicherheit vorzuhalten.
So sollte sich jeder am Ende dieses Tages ein Bild davon gemacht haben, ob es in der eigenen Feuerwehr vielleicht Defizite gibt, die im schlimmsten Fall einen Atemschutzunfall verursachen können. Letztlich gilt das Motto von Jan Südmersen: „Brandbekämpfung, ja – aber nicht um jeden Preis!“.
In Wiesbaden sind wir bereits auf einem hohen Niveau. Das bestätigt uns das Team von Atemschutzunfälle.eu. Dennoch wollen die anwesenden Vertreter aus Wiesbaden das Vorgetragene zum Anlass nehmen, die bisherigen Strukturen erneut kritisch zu untersuchen und gegebenenfalls zu optimieren.
So bot es sich auch an, dass die Referenten und das Team von Atemschutzunfälle.eu am Folgetag die Feuerwache 2 in Wiesbaden besuchte. Neben der Haustechnik und den Fahrzeugen war für die Fachleute die Atemschutzstrecke von besonderem Interesse.
Das Team von Wiesbaden112.de bedankt sich bei allen Beteiligten für die Möglichkeit diese hochinteressante Veranstaltung zu besuchen! Zum Abschluss noch einige Links für mehr Informationen: